Testament ändern, sofort!
Richtig vererben nach der neuen
EU-Erbrechtsreform
hier am Beispiel Italiens
Mit dem Stichtag 17. August gilt in Europa ein neues Erbrecht. Dann
entscheidet bei grenzübergreifenden Erbfällen nicht mehr das
Staatsangehörigkeitsprinzip, sondern das Erbrecht des Staates, in dem der
Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ein in Italien
lebender deutscher Staatsbürger, der dort verstirbt, wird dann nach
italienischem Erbrecht beerbt. Was viele nicht wissen: Das italienische Erbrecht
unterscheidet sich erheblich vom deutschen Gesetz.
Bereits Goethe schwärmte in seinen Reisebeschreibungen von der Schönheit
Italiens. Und auch heutzutage steht das Land in der Gunst der Deutschen ganz
oben. Im vergangenen Jahr waren etwa 5,5 Millionen Deutsche nach Bella Italia
gereist (Quelle: Statista 2015). Doch viele
verbringen nicht mehr nur ihren Urlaub dort. Offiziell leben etwa 37.000
Deutsche dauerhaft in Italien (Quelle ISTAT Italienisches Nationales Institut
für Statistik 2015). Über die Zahl derer, die sich über längere Zeit im Jahr in
Italien aufhalten oder dort Vermögen, wie zum Beispiel eine
Immobilie besitzen, gibt es keine genauen Angaben. Ob Expatriates und
Auswandererfamilien, Rentner und Frühruheständler oder Unternehmer und
Arbeitnehmer: Sie alle können von der neuen EU-Erbrechtsverordnung betroffen
sein.
Erbvertrag und Berliner Testament
sind unwirksam
Für Erbangelegenheiten gibt es in Deutschland klare Regeln und Verträge, wie zum
Beispiel den Erbvertrag oder das gemeinschaftliche Testament (Berliner
Testament), in dem sich Eheleute gegenseitig zu alleinigen Erben und die Kinder
als Schlusserben nach dem Tod beider Elternteile einsetzen.
In Italien sind diese Erklärungen unwirksam. „Ein deutsches Ehepaar, das in
Deutschland ein Berliner Testament gemacht hat und dann an den Gardasee oder
nach Südtirol gezogen ist, hat ab 17. August keine Garantie mehr, dass seine
Wunschverteilung des Nachlasses auch wirklich umgesetzt wird“, warnt der auf
deutsch-italienisches Recht spezialisierte Rechtsanwalt und Avvocato Dr. Jürgen
Reiß.
Wer sicherstellen möchte, dass sein letzter Wille erfüllt wird und, dass den
Hinterbliebenen viele Unannehmlichkeiten erspart werden, der kommt um eine
vorherige Regelung der Vermögensnachfolge nicht herum. Damit diese auch in
Italien anerkannt wird, muss sie zwingend in Testamentsform erfolgen.
Wie ist die gesetzliche Erbfolge?
Liegen keine vom
Erblasser festgelegten Regelungen vor, greift die gesetzliche Erbfolge.
Das italienische Erbrecht kennt sechs Klassen von Erbberechtigten: Überlebender
Ehegatte, eheliche/nichteheliche Abkömmlinge, Eltern und Vorfahren,
Seitenverwandte (Geschwister), die übrigen Verwandten und den Staat. Mit einem
Testament kann die Erbfolge abweichend vom Gesetz geregelt werden. Den
Pflichtteil kann man aber auch auf diese Weise nicht ausschließen.
Das bedeutet, dass, egal was im Testament festgehalten ist, die nächsten
Angehörigen das Recht auf einen bestimmen Teil des Erbes haben. „Der Nachlass
wird in Italien anders aufgeteilt als in Deutschland, was mitunter zu
unliebsamen Überraschungen führen kann“, erklärt der Experte Dr. Jürgen Reiß. So
erbt beispielsweise der Ehegatte neben dem Kind (oder dessen Nachkommen) die
Hälfte, neben mehreren Kindern ein Drittel, neben Eltern, Großeltern und
Geschwistern zwei Drittel (siehe Infografik).
Erst wenn keine
dieser Verwandten vorhanden sind, erbt er den gesamten Nachlass. Dazu bekommt er
auch ein lebenslanges Nutzungsrecht an der Ehewohnung.
Vorsicht Pflichtteilsrecht (Noterbenrecht)
Anders als in
Deutschland geht der Nachlass in Italien nicht automatisch auf die Erben über.
Diese müssen die Erbschaft erst annehmen.
Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass es in Italien sogar möglich ist,
sich als Pflichtteilsberechtigter in die Erbengemeinschaft einzuklagen.
Ist dies der Fall, droht unter den Hinterbliebenen oftmals Streit ums Erbe. Das
Pflichtteilsrecht ist in Italien wesentlich stärker ausgeprägt.
Durch ein sogenanntes Noterbenrecht steht den enterbten leiblichen Abkömmlingen
und dem Hinterbliebenen Ehepartner per Gesetz eine echte Teilhabe am Nachlass zu.
Was bedeutet „gewöhnlicher Aufenthalt“?
Eine klare
Definition gibt die neue Verordnung nicht. „Als Faustregel gilt, dass ein
Auslandsaufenthalt von mehr als sechs Monaten im Jahr zur Vermutung des
gewöhnlichen Aufenthalts in einem Land führt“, erklärt der Experte Dr. Jürgen
Reiß. Um diesen zu definieren, bedarf es aber erst einmal der Gesamtbeurteilung
der Lebensumstände des Erblassers vor und bei seinem Tod.
Anhaltspunkte können sowohl Dauer und Regelmäßigkeit des Auslandsaufenthaltes,
familiäre und soziale Bindungen, Vermögensgegenstände, aber auch der
Arbeitsplatz oder gar Kenntnisse der Landessprache sein.
Die Rechtswahl nutzen
Die neue Verordnung
sieht explizit ein Wahlrecht vor. Das bedeutet, dass man vorab festlegen kann,
dass im Todesfall das Recht des Staates gelten soll, dessen Staatsangehörigkeit
man besitzt.
Bei mehreren Staatsangehörigkeiten kann das Recht eines dieser Staaten gewählt
werden. Zu beachten ist, dass auch hier die Rechtswahl zwingend in
Testamentsform festgehalten werden muss. Daher sollten auch bestehende
Testamente, sofern ein Auslandsbezug besteht, auf die inhaltliche Gültigkeit hin
überprüft werden.
Ein Deutscher, der in Italien wohnt, kann sich also zwischen dem deutschen und
dem italienischen Erbrecht entscheiden. Er kann, als deutscher Staatsangehöriger,
das deutsche Recht in Testamentsform wählen. Wird keine Entscheidung getroffen,
dann kommt automatisch das italienische Recht zur Anwendung. „Welches anwendbare
Recht vorteilhafter ist, und in welchen Fällen eine Rechtswahl sinnvoll ist,
lässt sich nicht pauschal beantworten. Jeder konkrete Fall sollte daher einzeln
betrachtet und beurteilt werden“, fasst Dr. Jürgen Reiß zusammen.
Kontakt:
Kanzlei Reiss, Dr. Jürgen Reiß
http://kanzlei-reiss.de/cpt-anwaelte/juergen-reiss/
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